Rückblende: In der Mitte des 19. Jahrhunderts tauchen auf einmal Prognosen auf, nach denen die Straßen von New York auf Grund des großen Aufkommens an Pferden und Kutschen spätestens 1910 meterhoch mit Pferdemist bedeckt seien. Nach damaligen wissenschaftlichen Erkenntnissen war dies durchaus eine glaubwürdige Einschätzung. Damals gab es zwar bereits Autos, doch waren diese noch bei weitem nicht so weit entwickelt, dass sie serienreif waren.

Was heute kaum noch vorstellbar ist, war zu damaligen Zeit Alltag: Die Menschen waren gezwungen, entweder zu Fuß, per Pferd oder per Eisenbahn von A nach B zu gelangen. Zugtiere waren für den Personen- und Warentransport unentbehrlich, so dass es rund 100.000 Pferde alleine in New York gab. Diese zeichneten sich für täglich etwa 1.350 Tonnen Mist verantwortlich, der von den Straßen entfernt werden musste – auf Grund des Wirtschaftswachstum mit stark steigender Tendenz. Experten rechneten aus, dass die Straßen bis 1950 mit einer 3 Meter dicken Schicht (!) aus Mist bedeckt sein würden.1

Die Erfindung und Weiterentwicklung des Autos machte jedoch dieser wissenschaftlich fundierten Pferdemist-Prognose einen Strich durch die Rechnung! Das Auto galt auf einmal als Allheilmittel und sollte für die New Yorker Stadtväter das Mistproblem lösen. Doch nach kurzer Zeit riss die allgemeine „Auto-Euphorie“ plötzlich ab: Grund dafür war, dass sich erneut die „Experten“ zu Wort meldeten. Ihrer Prognose zur Folge hatte das Auto keine Zukunft, weil es nicht genug geschulte Chauffeure gab…

 

“Wenn alle Experten sich einig sind, ist Vorsicht geboten.”
Bertrand Russel, (1872-1970), britischer Philosoph (erhielt 1950 Nobelpreis für Literatur)

Wie Sie sehen, sind die Meinungen sogenannter Experten alles andere als in Stein gemeißelt. Das Problem daran ist nur, dass wir uns selbst viel zu häufig von der Meinung selbst ernannter Experten beeinflussen lassen. Gegenüber Expertenmeinungen sind wir wesentlich unvorsichtiger als gegenüber der Meinung von Menschen, denen wir auf Augenhöhe begegnen.

Das liegt daran, dass wir in der Gegenwart von “Autoritäten” unser selbstständige Denken abstellen. Wir verlassen uns dann viel zu sehr darauf, was jene Autorität sagt. Bedenken Sie: Auch Experten sind nur Menschen und machen genauso Fehler wie Sie und ich. Während wir diese Meinungen bei Freunden und Bekannten kritisch hinterfragen, halten wir (leider) viel zu oft jene Expertenmeinung für einen sicheren Ratschlag. Wir denken dann, dass diese Ratschläge stimmen müssen, schließlich stammen sie von Experten mit langjähriger Berufserfahrung – und manipulieren uns damit letztlich selbst!

 

“Experten sind Leute, die andere daran hindern,
den gesunden Menschenverstand zu gebrauchen.

Hannes Messemer, 1924-1991, deutscher Schauspieler

Wir hören selbst dann noch auf Autoritäten, wo es moralisch oder rational keinen Sinn macht. Dies bewies ein Experiment des Psychologen Stanley Milgram. Hierbei wurden Versuchspersonen dazu angehalten, einer anderen Person, die hinter einer Glasscheibe saß, immer stärkere Stromstöße zu verpassen.

Erst erhielten die Personen Stromstöße mit einer Stärke von 15 Volt, dann 30 Volt, dann 45 Volt und so weiter, bis letztlich zu tödlichen Stromstößen mit Stärken von 450 Volt. Auch die Schmerzensschreie der Personen hinter der Scheibe führten nicht zu einem Stopp auf der anderen Seite der Glasscheibe. Wenn Milgram als Versuchsleiter sagte, dass die Versuchspersonen weitere Stromschläge verabreichen sollten, da es das Experiment verlange, machten diese aus reinem Autoritätsgehorsam weiter.

In Wirklichkeit wurde zwar keine Person verletzt, da Schauspieler auf der anderen Seite der Glasscheibe saßen, so dass überhaupt kein Strom floss – dennoch zeigt es auf erschreckende Art und Weise, zu was Menschen aus reinem Autoritätsgehorsam fähig sind. Gerade Fluggesellschaften arbeiten bereits seit vielen Jahren daran, diesen Autoritätsgehorsam sämtlichen Piloten abzutrainieren. Bei vielen Unfällen stellte sich nämlich heraus, dass der Co-Pilot einen Fehler des Piloten bemerkte, sich jedoch nicht traute, den Fehler anzusprechen.2

Daher sollten wir uns erst einmal überlegen, wie man sich überhaupt zu einem Experten aufschwingt? Dies erreicht man, in dem man sich auf einem bestimmten Gebiet außerordentliche Fähigkeiten aneignet. Diese Fähigkeiten betreffen jedoch nur den Status quo, das Fachgebiet entwickelt sich jedoch im Laufe der Jahre weiter und bildet Synapsen zu anderen Fachgebieten. Wer hätte etwa vor 30 Jahren gedacht, dass Apple Telefone entwickelt, die einen Computer enthalten. Oder, dass man Zeitungen lesen kann, ohne Papier in den Händen halten zu müssen?

 

“Die letzte Stimme, die man hört, bevor die Welt explodiert,
wird die Stimme eines Experten sein, der sagt: “Das ist technisch unmöglich.””
Sir Peter Ustinov, 1921-2004, englischer Schauspieler

Die Menschen, die die Pferdemist-Prognose abgaben waren sicher ausgezeichnete Analytiker, jedoch nur in Ihrem Fachgebiet. Sie beachteten nur den Status Quo und schauten nicht über den Tellerrand hinaus – ansonsten hätten Sie die Entwicklungen auf dem Automobilmarkt mitbekommen.

Wenn jene Experten sich demnach nicht laufend, auch über ihr Fachgebiet hinaus, weiterentwickeln, sind deren Zukunftsprognosen ebenso zweifelhaft wie unsere eigenen Prognosen – und dafür benötigen Sie beispielsweise dann keinen Anlageberater. In solchen Fällen sind Expertenmeinungen letztlich nicht mehr Wert als Ihre eigene Meinung.

Hinterfragen Sie daher zukünftig sämtliche Meinungen sogenannter Experten kritisch. Selbst, wenn dieser eine Koryphäe in seinem Fachgebiet sein sollte, sichern Sie sich lieber noch einmal mit einer Zweitmeinung ab und informieren Sie sich zusätzlich selbst, dann können Sie sich eine Menge Ärger ersparen. Achten Sie auch darauf, wie perspektivisch jene Experten denken und schauen Sie selber über den Tellerrand hinaus, welche Andockstellen sich in anderen Fachrichtungen zukünftig für dieses Aufgabengebiet ergeben könnten.

Sie haben dann zwar immer noch keine 100prozentige Sicherheit, können jedoch wenigstens hinterher behaupten nicht so naiv gewesen zu sein und der Meinung eines Einzelnen vollständig vertraut zu haben, ohne diese selbstständig kritisch zu hinterfragen. Dann ersparen Sie sich ähnliche Schmunzler wie heute über die Pferdemist- und Chaffeur-Prognose.

 

Einzelnachweise:

1. vgl. Bugmann, Harald: ETH-Klimablog – Von Hühnern, Pferdemist und Klimawandel; veröffentlicht unter http://www.nachhaltigleben.ch/2-eth-klimablog/1281-von-huehnern-pferdemist-und-klimawandel

2. vgl. Dobelli, Rolf: Die Kunst des klaren Denkens, Carl-Hanser-Verlag, München 2011, S. 37-39

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